Der Versuch einer Aufarbeitung

10.04.2017

Vor ziemlich genau 3 Jahren fand ich mich wieder auf der Vet Uni in Wien. Ein Tierarzt mit gebrochenem Deutsch erklärte mir wie die Prognose um meinen Hund stand. Sachkundig gab er Preis, dass das kurative Therapieschema eine 3 wöchige Bestrahlung plus Chemotherapie empfohlen würde, nicht ohne zu betonen dass "kurativ" in diesem Zusammenhang natürlich nicht realistisch wäre. Eigentlich wäre es eher palliativ da zu diesem Zeitpunkt der Tumor bereits gestreut hatte und die Lymphknoten befallen waren.

Ich weiß noch genau wie ich mich fühlte. Mir war schlecht ob der Aussicht meinen Gino in vermutlich Monaten, vielleicht Wochen verabschieden zu müssen. Ich hatte Angst, dass sein weiterer Weg einer des Verfalls und Dahinsiechens sein würde, einer wo ich ständig überlegen müsste: jetzt erlösen oder doch noch warten.

Inmitten dessen stand mein Hund vor mir. Wach. In seinen besten Jahren. Ja wirklich. Nie war es besser gewesen. Endlich hatte er erreicht was er immer gewollt hatte. Alle respektierten ihn. Endlich in sich ruhend. Um diesen Zeitpunkt war dieses Video entstanden: https://www.youtube.com/watch?v=eCtpcNNAonw

 Und als ob irgendwo ein Teufel lacht: jetzt, genau jetzt, kam der Krebs- ein Analbeutelkarzinom. Was hatte ich bemerkt?

Ich hatte bemerkt, dass er schlechter und anders schlief. Er heulte oft im Traum. Das halbe Jahr vor der Diagnose fiel mir das auf. Es war mir unerklärlich. Die Wochen vor der Diagnose fiel mir weiters auf, dass er glasige Augen bekam. Ich war alamiert, konnte es aber nicht zuordnen. Und dann begann er sich zu benagen. Die Op beim Tierarzt wurde vereinbart, das Gewächs entfernt. Gino ging es gut. Ich war erleichtert, dachte nicht mehr daran. Und dann stand ich eines Nachmittags in der Küche und "hörte" im Innen wie der Tierarzt verkündete, der Tumor wäre bösartig...ich kann nicht hellsehen, aber manchmal hellhören. Mir wurde schwindlig. Am nächsten Tag dann der Anruf....

...zurück auf der Vet Uni, seh ich meinen Hund an und weiss, dieses kurative Protokoll schaffen wir nicht. Keine Ahnung. Nur ein Bauchgefühl das mir sagt, das geht nicht. Später werde ich wissen warum.-

Wir beginnen unsere Suche: nach Alternativmethoden, nach schonenden Ansätzen in der Krebstherapie. Während dieser Wochen wachsen die Metastasen im Schnitt einen Zentimeter in 10 Tagen. In Anbetracht dessen erscheinen mir die Alternativmediziner recht entspannt: Medikamente werden mir wochenlang nicht geschickt, Anrufe nicht beantwortet, mir wird noch vor Beratungsbeginn offenbart dass es keine Hoffnung gäbe... 7 Tierärzte später bin ich einfach nur noch erschöpft und wage noch einen Termin bei einer Onkologin. Helmut sagt, was soll das noch bringen. Um ein Haar sage ich den Termin ab. Aber wir gehen dann doch.

Zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass jemand begreift was in uns vorgeht und was uns dieser Hund bedeutet. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl als Mensch gesehen zu werden der sein aller liebstes nicht verlieren möchte. Zum ersten Mal erhalten wir emotional und fachlich kompetente Unterstützung.  Wir verlassen die Ordination mit einem Hoffnungsschimmer, ein bisschen Zeit- mehr nicht.

Das erste halbe Jahr bekommt Gino Leukeran, eine metronomische, leichte Chemotherapie, die alles ein bisschen verzögert aber nicht lange aufhält.  Dennoch schaffen wir so 6 Monate.

Wissenschaftliche Studien belegen dass es die Prognose günstig beeinflusst wenn die vergrösserten Lymphknoten entfernt werden- leider erweist sich dies in unserem Fall als Trugschluss. Keine 6 Wochen nach der Op sind die Lymphknotenmetastasen noch größer als vor dem Eingriff. Gino bekommt Gabapentin als Schmerzmedikation da sie ihm Beschwerden machen. Die Chemopause hat der Krebs genützt und nun ist auch ist der Primärtumor plötzlich wieder aktiv und wir entschliessen uns die palliative Bestrahlung auf der Vet med für eine Woche in Anspruch zu nehmen.

Ich kann den allgemein vermittelten Erfahrungsberichten nicht zustimmen- die Bestrahlung aber vor allem die Narkose, die jedes Mal notwendig ist, ist keinesfalls ein Kinderspiel. Am 5. Tag bin ich froh, dass es vorbei ist. Gino sieht mich jeden morgen an und versteht einfach nicht was hier geschieht. Es ist das einzige Mal wo ich den Eindruck habe etwas gegen seinen Willen zu tun. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, weil es ihm kurz danach nie besser geht. Die Bestrahlung hat aber langfristig zur Folge, dass der Tumor dem man davor beim Wachsen täglich zusehen konnte, stagniert. Gott sei Dank.

Dann folgen 6 Monate, die ich als eine der besten Zeiten in Ginos Leben bezeichnen würde. Er bekommt seine erste Infusionschemotherapie: Mitoxandron. Er freut sich wenn wir in die Klinik fahren und es geht ihm unwahrscheinlich gut. Wir machen viele Ausflüge in unsere Au, haben wunderschöne Monate. Um diese Zeit herum entstand dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=n1fveSbixuk

Nach 6 Monaten Mitoxandron und einer mehrwöchigen Chemopause ist es klar, dass es keine Therapiepausen geben kann. Sobald wir pausieren wächst der Krebs. Nach einer Gabe Carboplatin welches Gino nicht verträgt wechseln wir auf Doxorubicin. Weitere 6 Monate vergehen. Gute Monate, aber langsam beginnen sich leichte Nebenwirkungen zu zeigen.

Gino ist mittlerweile der "Star" auf allen Onko Kongressen. Weil fast niemand diesen Weg geht, weil selten ein Hund so lange therapiert wird. Weil fast kein Hund so lange lebt mit seinem Krebs. Bei einem dieser Kongresse wird ein Medikament erwähnt das uns noch einmal Zeit schenken könnte: Palladia. Zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Markt wegen Produktionsschwierigkeiten versuchen wir Gott und die Welt zu bewegen es für unseren Hund zu bekommen. Wir haben Glück: wenig später ist es wieder am österreichischen Markt erhältlich und begleitet uns noch ein gesamtes Jahr. Unter Palladia werden sogar die Metastasen wieder kleiner...Zusätzlich und begleitend werden wir von einer TCM Tierärztin beinahe die ganze Zeitdauer der Erkrankung mit Kräuterrezepturen unterstützt. Das Verabreichen der Tabletten ist eine Herausforderung an sich: Magenschoner, Schilddrüsenmedikamente, Schmerzmedikation, Chemotherapie, Vitamine, Kräuter usw., alles so zeitlich abgestimmt das sie sich nicht gegenseitig aufheben, verstärken oder in ihrer Wirkung beeinflussen.

Als plötzlich eine Hypercalciämie auftritt (etwas das plötzlich vom Tumor verursacht wird) und eine unheimliche Schwäche hervorruft, eine Pankreasinsuffizienz (eine Nebenwirkung der jahrelangen Chemotherapie) nicht mehr in den Griff zu bekommen ist, Gino sich selbst immer fremder zu werden scheint und ein Nystagmus einseitig auftritt, weiß ich dass es zu Ende geht. Am Tag vor seinem ersten und einzigen Epi Anfall, bereitet mich unsere Tierärztin auf die Möglichkeit vor. Da Gino so unglaublich lange mit seinem Analbeutelcarcinom gelebt hat erleben wir jetzt auch etwas, das fast kein Hund mit dieser Diagnose erreicht: Gehirnmetastasen. Alles hat seinen Preis.

Es ist die Nacht von Monatg auf Dienstag. Am Freitag wäre noch ein Tierarzttermin ausgemacht um weiteres zu besprechen. Ich gehe schlafen und versuche durchzuspielen was wir an jenem Tag noch tun könnten, mir ist, als gäbe es keinen Freitag mehr. 4 Stunden später krampft Gino und ich bin meiner Tierärztin so unendlich dankbar für die Rektal- Ampulle und die genaue Anweisung was ich zu tun habe, dafür dass ich sie anrufen kann und wir sofort in die Klinik fahren können. Gino geht da rein wie er es immer getan hat- hier erfährt er Hilfe. Das weiss er. Unser Abschied ist leise und gut und jeden Tag haben wir raus geholt der noch ging und nichts geht mehr.

 Es ist der 14. Februar 2017, der Valentinstag. Ich halte mein Ohr noch einmal an Ginos Brust um sein Herz ein letztes Mal schlagen  zu hören und sage danke für alles.


Wie es mir erging...

Das erste halbe Jahr erlebte ich wie in einem Schockzustand. Ich spürte das Damocles Schwert über unseren Köpfen kreisen, ständig in Erwartung des Unvermeidlichen. Die Ärzte die uns keine Aussicht auf Heilung gaben sondern uns mit der Wahrscheinlichkeit eines halben Jahres und weniger, vielleicht etwas mehr, konfrontierten, die sensationsgierige Wissenschaft die gerne meinen Gino am OP Tisch gehabt hätte, um ihren Studenten etwas sehr sehr rares zu präsentieren, die beleidigten Alternativmediziner die nicht einsehen wollten, dass wir keine Zeit hatten wochenlang herum zu probieren...sie alle machten mich müde und erschöpft. Die rastlsoe Suche und Recherche nach etwas das helfen könnte. Der Druck dass der Krebs keine Zeit verlor. Es verging fast ein Jahr bis ich etwas aufatmen konnte. Ich schlief schlecht und weinte viel. Und dann war es wieder schön. Und immer sah mich der Hund an und ich wusste, dass er nicht gehen will.

Ich kann heute gar nicht mehr alles abrufen was in dieser Zeit geschehen ist. Mir erscheint es heute wie ein seltsamer Traum. Kein Mensch kann vorhersagen was man in so einer Situation tut. Geht man am ersten Tag aus der Ordi und denkt, was soll es schon bringen für ein halbes Jahr, findet man sich ein paar Wochen später und würde alles tun selbst für nur ein paar Wochen... Gino hat mir immer kommuniziert was er möchte und was gut für ihn war. Und dass er leben wollte. Bis zu seinem letzten Tag. Man denkt vielleicht wenn man dies alles liest: was hat der Hund bloß durchgemacht.  Aber Gino war bis kurz vor seinem Ende ein Wesen das nichts vom Tod wusste, er hat das Leben in seinem Rudel als alter Weiser so sehr genossen. Und bis zu seiner letzten Lebenswoche war er ein Hund der gut unterwegs war und bis auf wenige Phasen auch zufrieden schien. Dieses Video entstand wenige Monate vor seinem Tod: https://www.youtube.com/watch?v=mm8RmgtqWrY und zeigt wieviel Lebensqualität er bis  ans Ende hatte.

Wir haben keinen Tag bereut alles getan zu haben. Es war kein Festklammern sondern ein alles geben und jemandem der gerne bleiben wollte genau dies zu ermöglichen.  Oft war es nicht leicht. Emotionell und finanziell eine Belastungsprobe. Aber das Feuer in Gino`s Augen das bis kurz vor der Ziellinie nicht aufhören wollte zu brennen hat alles wieder gut gemacht. Ich habe diesen Blick bis tief in meine Seele geliebt wie nichts auf dieser Welt. Kein Tag wird je wieder sein wie es einmal war. Aber wir haben alles raus geholt was ging. Für Gino. Für uns alle.

Unser letztes Video, eine Hommage an einen Ritter im schwarzen Fellkleid:

https://www.youtube.com/watch?v=eQOk374nn6U



Gino

Andrea Wiesner, PowerPets, 2405 Bad Deutsch Altenburg, Kaiser Konstantingasse 11
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